Samstag, 21. Mai 2016

Theatermodern-Mai-2016_III






Kommentar zum Artikel „Ein Buch über gute Manieren täte not“ von Patrick Bahners in der FAZ vom 20.05.2016





Feuilletonkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Bahners positioniert sich gegen die Sanierung des Theaters Augsburg



Vorschusslorbeeren

Bahners' FAZ-Artikel bekränzt Herrn K. I., den Buchhändler, der angeblich „alle Aufgaben übernimmt, die im literarischen Leben der urbanen Provinz anfallen“ gleich einleitend mit derartigen Vorschusslorbeeren, dass man vor Ehrfurcht erstarrt.

Jedoch, in einer Stadt mit 280.000 Einwohnern, weiteren 120.000 Einwohnern in Randstädten, mit Universität und Fachhochschule, mit insgesamt etwa 20 Buchhandlungen (ohne Filialen), darunter z.B. auch die „Amazon“-Konkurrenz „Buch-7“, mit einem Brecht-Festival etc. etc. – in dieser Brecht-Stadt Augsburg phantasiert Herr I. gerne von jener Position des Literatur-Kümmerers und einzigen Brecht-Kenners.



„Wir da unten gegen die da oben“

Die Wertigkeit Brecht’scher Briefe ist unbestritten, doch wenn eine bestimmte Vulgarität bei Brecht hochgeschätzt werden, so muss auch der Buchhändler merken, dass eine gewisse brecht’sche Komödie stattfindet, wenn von Autonomen per Plakataktionen historische Vergleiche gezogen werden. Inwiefern im Wortlaut Herr I. mit Herrn Ulbricht verglichen wurde, kann man gerne googlen. Ein dickes Fell hat Herr I. ganz bestimmt nicht. Er fühlt sich aber ganz gut in der Rolle des armen, kleinen, untrigen Buchhändlers, der gegen die große, böse Obrigkeit anrennt.

Aber selbst, dass noch andere Autonome mit Filzstift „Theatermörder“ an sein Schaufenster geschrieben haben, was man nicht goutieren muss und wovon „theatermodern“ sich distanziert (hat), zeigt eher, wie krass die Vorstellung ankommt, wenn eine Großstadt (unter den größten 25 Deutschlands) in Gefahr kommt, KEIN Viersparten-Theater mehr bieten zu können. Das jedenfalls ist die Alternative zur Sanierung.



„Theatermodern“

Hinter „theatermodern“, oder für den Autor Patrick Bahners wahlweise auch „THEATERMODERN“, stehen keine „Widersacher“, sondern Unterstützer der von der Stadt Augsburg zusammen mit dem Theater sorgfältig geplanten Sanierung. Wir verstehen uns nicht als Contra, sondern als Pro, als Bürgerschaft für den nachhaltigen Fortbestand eines Vier-Sparten-Theaters für die Zukunft. Zählt man die „Hochgelehrten“ (wie einer der Gegner vom FAZ-Autor hofiert wird und eigentlich eine selten blöde Bezeichnung) auf Seiten der Sanierungsbefürworter, wird man dreistellige Ergebnisse bekommen.



Köln!?

Viel schlimmer ist jedoch wiegt der Vorwurf „Köln“. Dies bedarf einer genauen Darstellung, weil ich das selbst miterlebt habe, und gar Adressat bin:

Der kurz nach Bekanntwerden des Bürgerbegehrens von Theaterleuten und Sanierungsunterstützern organisierte Demonstrations-Zug endete an einem Samstag-nachmittag auf dem Platz vor einem Kaufhaus, wo sich auch Sanierungsgegner auf Stimmenfang befanden. Dort spielten dann die vier Hornisten des Philharmonische Orchesters Augsburg ein Ständchen. Bevor sich die Demo auflöste, gab es noch ein paar Diskussionsrunden zwischen Sanierungsgegnern und -befürwortern.

Konkret entstand auch ein Kreis aus ca. 7 Personen, darunter etwa 3 Theatermitglieder, die Sanierungsgegnerinnen Angelika Lippert und Petra Wengert (beide Partei Freie Wähler), sowie ich selbst und meine Frau. Wir diskutierten zwar den Umständen entsprechend emotional, versuchten aber Argumente zu widerlegen, was uns m. E. soweit gelang, dass die Gegnerinnen nicht alles parieren konnten und daher argumentativ ins Hintertreffen gerieten. Es ging u. a. darum, ob der Architekt nicht über einen Realisierungswettbewerb hätte gefunden werden können, anstatt über einen Vergabe-Wettbewerb. Oder darum, dass zuerst alle Schulen saniert werden müssten, bevor überhaupt 1 Euro fürs Theater ausgegeben werden soll. Der ebenfalls aufgestellte Vorwurf, dass sich Theaterangestellte nicht für das bzw. ihr Theater einsetzen dürfen, wurde als unhaltbar vermittelt.

Wie jedoch Frau Lippert (z.B. zwei Tage später bei einer unsäglichen Veranstaltung von attac-Augsburg) darauf kommt, sich wie in der Kölner Silvesternacht gefühlt zu haben, also mindestens unsittlich „begrapscht“ worden zu sein, können meine Frau und ich wie auch die anderen Mitdiskutanten nicht im Geringsten nachvollziehen. Ich versichere hiermit hoch und heilig, Frau Lippert nicht im Mindesten berührt oder gar die Hand zum Gruß gereicht sondern sie maximal angesehen und angesprochen zu haben, was meine Frau selbstverständlich bezeugen kann. Ob sie sich auch von Frauen sittlich belästigt fühlte?

Nein! Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ich fordere Frau Lippert nach wie vor auf, sich für diese öffentliche Denunzierung meiner Person zu entschuldigen!

Dass aber ein Autor der angesehenen FAZ solche Informationen ungeprüft einfach so dahintextet, ist unerträglich. Man muss sich nicht wundern, wenn einem hierzu dann doch der Begriff „Lügenpresse“ einfällt, selbst wenn einem Pegida ferner als irgend etwas sonst liegt.

Überhaupt findet der Autor die fatalerweise treffenden Worte in Bezug auf die Sanierungsgegner: „Verschworene“, „Drohung“, „Superwaffe“. Genau so empfinden ganz viele Bürger, Theaterleute und Politiker die Art und Weise, wie hier beratungsresistent mit bislang noch immer unklaren Argumenten gegen die Sanierung gearbeitet wird. Da geht es nicht mehr um Manieren, sondern um verbale Abrüstung – auch beim Faz-Autor!



Investition

Aber nun endlich zum eigentlichen Thema, weil der Autor unfähig ist, wenigstens ein bisschen Licht in die Grundfrage des Bürgerbegehrens zu bringen: Sie bedeutet nämlich, dass bei einem NEIN die Stadt Augsburg sich nicht mit auch nur einem Euro (1,- €) für die Sanierung des Theaters verschulden darf. Da im regulären Haushalt keinerlei zusätzliche sondern nur Wartungs- und Instandhaltungs-Baumaßnahmen enthalten sind, muss sich die Stadt Augsburg für JEDE Sanierungs-Baumaßnahme am Theater verschulden. Die Konsequenz wäre, dass gar nicht gebaut bzw. saniert würde, und die Stadt Augsburg nur noch kleinere Schauspiele sowie Konzerte anbieten könnte, somit das Vier-Sparten-Theater tot wäre. Eine Provinzposse erster Sahne. Da möchte man die deutsche Presse dann hören.

Gerade weil aber so lange nichts gemacht wurde, und das Theater nun völlig überraschend für alle schon Ende der Saison 2016 schießen muss, besteht eklatante Sanierungsnotwendigkeit, und die Chance einmal in den Genuss einer Finanzspritze zu kommen, somit eine nachhaltige Investition in die Zukunft.

Da der Bayerische Staat der Stadt Augsburg 107 Mio € hierfür zur Verfügung stellt, reduzieren sich die von der Stadt zu tragenden Kosten auf ca. 90 Mio €, woraus sich für die steuerzahlende Augsburger Bevölkerung für bis ins Jahr 2036 eine Belastung von jährlich 25 (fünfundzwanzig) € errechnet. Die in diesem Zusammenhang erwähnte Verschuldung Augsburgs ist nicht außergewöhnlich. Die wichtigsten Rankings zu den unter ca. 100 kreisfreien Städten verorten die Stadt eher im unteren Mittelfeld.



„veraltetes“ Repertoire?

Die negative Haltung des in Oxford studierten Autors Patrick Bahners in Sachen Repertoire birgt Empörungspotenzial: Kann ein Repertoire „veraltet“ sein? Können Mozart, Beethoven und Wagner auf den Müll? Sind Meisterwerke der Bildenden Kunst, etwa von Rembrandt oder Picasso, von Semper oder Le Corbusier etc. irgendwann veraltet? Ist es nicht vielmehr so, dass, je weiter die Geschichte zurückliegt, der gesamtgesellschaftliche Wert der Kunst sogar steigt? Auch, was „kulturelle Besitzstände“ sein sollen, erklärt der Autor nicht. Kann man Kultur „besitzen“? Man kann eine Trompete besitzen und vielleicht auch darauf spielen, man kann Bilder, Bücher, Skulpturen, Schlösser, alte Aufnahmen auf Schallplatten besitzen, aber „Kultur “? Falls der Autor drauf hinaus will, dass die pelztragenden Besitzständler gerne ihre Robe ausführen und in den Pausen zum „weißem Rössl“ Sekt schlürfen, dann dürfte das eine aussterbende Minderheit sein – jedenfalls was den Pelz betrifft, denn auch die im Theater stark vertretene Jugend genießt von Zeit zu Zeit den Kontrast zum Diskothekengehopse, und schlürft dann auch Prosecco.

Das Theater Augsburg ist in allen inhaltlichen Themen engagiert. Es betreut selbstverständlich dem Bildungsauftrag gerecht werdend, zum Einen das klassische, aber zum Zweiten auch das avantgardistisch-moderne Repertoire, wie an der herausragenden Inszenierung von Luigi Nonos „Intolleranza 1960“ zu belegen ist. Und die dritte Linie ist die Präsentation aktuellster Produktionen, teilweise auch mit externen Darstellern aus der Stadtgesellschaft.



Kultur als vierte Dimension nachhaltigen Handelns

Angesichts des Kulturverfalls (siehe AfD, Pegida, etc.) wäre die Unantastbarkeit der Kultur wünschenswert. Jedenfalls ist es leider so, dass die sogenannten weichen Faktoren Soziales, Umwelt, Bildung und Kultur um Finanzmittel kämpfen. Augsburg hat sich in einer einjährigen Nachhaltigkeitsdebatte über seine Lokale Agenda neben den Dimensionen Ökologie, Soziales und Ökonomie die vierte Dimension Kultur verschrieben, weil nachhaltiges Denken, Leben und Handeln nur läuft, wenn alle Aspekte des Menschen und seiner Umwelt Eingang finden. Das ist die eigentlich relevante „Initiative kulturelle Stadtentwicklung“ (wie sich die Bürgerbegehren-Initiatoren nennen) im Gegensatz zum destruktiven Bürgerbegehrensinhalt, das gar nicht auf Kultur bzw. Kunst eingeht.

Augsburg jedenfalls hat erkannt, dass das Weglassen einer Dimension auch die anderen schwächt. Wird also an der Kultur gespart, ist das in Bildungskreisen gar nicht vermittelbar, verroht der soziale Aspekt und wird in letzter Konsequenz der Umweltschutz irrelevant, weil es keinen Grund gibt, die zusehends kulturlose Menschheit zu erhalten. Soweit ist es in Augsburg noch lange nicht.



Partizipation

Nicht erst mit der Bürgerbeteiligungswerkstatt konnte man sich zum Theater äußern, sondern prinzipiell schon immer und tatsächlich gab es auch 2014 schon, allerdings mäßig besuchte, runde Tische zur inhaltlichen Ausrichtung des Theaters.

Der Beteiligungsprozess war ein Erfolg, was das Interesse und die Breite der Besucher anlangt. Die Kritiker waren ebenfalls zugegen, blieben aber stille Beobachter, als ginge sie das Treiben nichts an.

Was die Kritiker am Beteiligungsprozess gestört hat, war die Tatsache, dass die notwendigen baulichen Maßnahmen, um hinterher wieder ein Vier-Sparten-Theater zu haben, nicht verhandelbar waren. Es ist auch nicht einfach, einem breiten Publikum zu vermitteln, wie beim Bauen im Bestand die Umsetzung von Brandschutz, Barrierefreiheit, Hygiene, Denkmalschutz, Bühnentechnik, Akustik, Versorgungstechnik, Arbeitsschutz, Raumbedarf, Beleuchtung, etc. funktioniert. Die Komplexität einer Planungsaufgabe ist mittels Bürgerwerkstatt nicht zu erfassen und nicht zu bearbeiten.



Unklare und unvereinbare Ideen

Keiner der sechs Bürgerbegehrens-Initiatoren bringt schlagende Argumente. Herr I. sagt, es ist zu teuer, kommt aber nur mit der Forderung, man müsse aus München noch mehr Geld verlangen. Dabei kann man davon ausgehen, dass OB Dr. Gribl, als Stellvertreter des CSU-Chefs Seehofer wahrscheinlich der Einzige auf lange Zeit ist, der je überhaupt so viel Geld in die drittgrößte Stadt Bayerns abzweigen konnte. „Theatermodern“ jedenfalls liegen Texte der Sanierungsgegner vor, aus denen manche Information wie folgt hervorgeht: Herr Bommas spricht von einem Theater, das ausschließlich aktuelle soziale Themen bearbeiten soll, also Sozialintegration betreiben soll. Das ist aber nicht die vorderste Aufgabe des Theaters. Hierzu gibt es zunächst Bildungsinstitute. Integration, wie sie angesichts der Flüchtlingskrise notwendig wird, ist nicht allein und zuerst Aufgabe der Kultur- bzw. Kunstinstitutionen. Sie stehen im Rahmen der Bildungsprogramme aber bereit, wie auch Museen, Bibliotheken, Sportstätten.

Dr. Gier schreibt über den En-Suite- oder Semi-Stagione-Betrieb, ein Theatermodell, das den Vorstellungen der Integration von migrantischen Laiendarstellern a la Bommas eklatant widerspricht, weil der Zugriff auf das Theater dann von ökonomischen Zwängen abhängt.

Ja, und was Frau Lippert eigentlich will, außer Andersdenkende mit Köln-Sexismus-Vergleichen zu denunzieren, konnten wir bis heute nicht eruieren. Ein Buch „über gute Manieren“ unter ihrem Kopfkissen könnte helfen.

Und noch eine Empfehlung an den FAZ-Autor Patrick Bahners: Informieren Sie sich zuerst bei allen Beteiligten, bevor sie einseitig Partei ergreifen, wie im vorliegenden Fall. Das ist unterste Schublade von Journalismus.



Christian Z. Müller, Augsburg, 21.05.2016

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