Kommentar
zum Artikel „Ein Buch über gute Manieren täte not“ von Patrick Bahners in der
FAZ vom 20.05.2016
Feuilletonkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Bahners positioniert sich gegen die Sanierung des
Theaters Augsburg
Vorschusslorbeeren
Bahners' FAZ-Artikel bekränzt Herrn K. I., den Buchhändler, der angeblich „alle Aufgaben
übernimmt, die im literarischen Leben der urbanen Provinz anfallen“ gleich
einleitend mit derartigen Vorschusslorbeeren, dass man vor Ehrfurcht erstarrt.
Jedoch,
in einer Stadt mit 280.000 Einwohnern, weiteren 120.000 Einwohnern in
Randstädten, mit Universität und Fachhochschule, mit insgesamt etwa 20
Buchhandlungen (ohne Filialen), darunter z.B. auch die „Amazon“-Konkurrenz
„Buch-7“, mit einem Brecht-Festival etc. etc. – in dieser Brecht-Stadt Augsburg
phantasiert Herr I. gerne von jener Position des Literatur-Kümmerers und einzigen
Brecht-Kenners.
„Wir da unten gegen die da oben“
Die
Wertigkeit Brecht’scher Briefe ist unbestritten, doch wenn eine bestimmte
Vulgarität bei Brecht hochgeschätzt werden, so muss auch der Buchhändler
merken, dass eine gewisse brecht’sche Komödie stattfindet, wenn von Autonomen
per Plakataktionen historische Vergleiche gezogen werden. Inwiefern im Wortlaut
Herr I. mit Herrn Ulbricht verglichen wurde, kann man gerne googlen. Ein dickes
Fell hat Herr I. ganz bestimmt nicht. Er fühlt sich aber ganz gut in der Rolle
des armen, kleinen, untrigen Buchhändlers, der gegen die große, böse Obrigkeit
anrennt.
Aber
selbst, dass noch andere Autonome mit Filzstift „Theatermörder“ an sein
Schaufenster geschrieben haben, was man nicht goutieren muss und wovon
„theatermodern“ sich distanziert (hat), zeigt eher, wie krass die Vorstellung
ankommt, wenn eine Großstadt (unter den größten 25 Deutschlands) in Gefahr
kommt, KEIN Viersparten-Theater mehr bieten zu können. Das jedenfalls ist die
Alternative zur Sanierung.
„Theatermodern“
Hinter
„theatermodern“, oder für den Autor Patrick Bahners wahlweise auch
„THEATERMODERN“, stehen keine „Widersacher“, sondern Unterstützer der von der
Stadt Augsburg zusammen mit dem Theater sorgfältig geplanten Sanierung. Wir verstehen
uns nicht als Contra, sondern als Pro, als Bürgerschaft für den nachhaltigen
Fortbestand eines Vier-Sparten-Theaters für die Zukunft. Zählt man die
„Hochgelehrten“ (wie einer der Gegner vom FAZ-Autor hofiert wird und eigentlich
eine selten blöde Bezeichnung) auf Seiten der Sanierungsbefürworter, wird man
dreistellige Ergebnisse bekommen.
Köln!?
Viel
schlimmer ist jedoch wiegt der Vorwurf „Köln“. Dies bedarf einer genauen
Darstellung, weil ich das selbst miterlebt habe, und gar Adressat bin:
Der
kurz nach Bekanntwerden des Bürgerbegehrens von Theaterleuten und
Sanierungsunterstützern organisierte Demonstrations-Zug endete an einem
Samstag-nachmittag auf dem Platz vor einem Kaufhaus, wo sich auch
Sanierungsgegner auf Stimmenfang befanden. Dort spielten dann die vier
Hornisten des Philharmonische Orchesters Augsburg ein Ständchen. Bevor sich die
Demo auflöste, gab es noch ein paar Diskussionsrunden zwischen Sanierungsgegnern
und -befürwortern.
Konkret
entstand auch ein Kreis aus ca. 7 Personen, darunter etwa 3 Theatermitglieder,
die Sanierungsgegnerinnen Angelika Lippert und Petra Wengert (beide Partei
Freie Wähler), sowie ich selbst und meine Frau. Wir diskutierten zwar den
Umständen entsprechend emotional, versuchten aber Argumente zu widerlegen, was
uns m. E. soweit gelang, dass die Gegnerinnen nicht alles parieren konnten und
daher argumentativ ins Hintertreffen gerieten. Es ging u. a. darum, ob der
Architekt nicht über einen Realisierungswettbewerb hätte gefunden werden
können, anstatt über einen Vergabe-Wettbewerb. Oder darum, dass zuerst alle Schulen
saniert werden müssten, bevor überhaupt 1 Euro fürs Theater ausgegeben werden
soll. Der ebenfalls aufgestellte Vorwurf, dass sich Theaterangestellte nicht
für das bzw. ihr Theater einsetzen dürfen, wurde als unhaltbar vermittelt.
Wie
jedoch Frau Lippert (z.B. zwei Tage später bei einer unsäglichen Veranstaltung
von attac-Augsburg) darauf kommt, sich wie in der Kölner Silvesternacht gefühlt
zu haben, also mindestens unsittlich „begrapscht“ worden zu sein, können meine
Frau und ich wie auch die anderen Mitdiskutanten nicht im Geringsten
nachvollziehen. Ich versichere hiermit hoch und heilig, Frau Lippert nicht im
Mindesten berührt oder gar die Hand zum Gruß gereicht sondern sie maximal
angesehen und angesprochen zu haben, was meine Frau selbstverständlich bezeugen
kann. Ob sie sich auch von Frauen sittlich belästigt fühlte?
Nein!
Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ich fordere Frau Lippert nach wie vor auf,
sich für diese öffentliche Denunzierung meiner Person zu entschuldigen!
Dass
aber ein Autor der angesehenen FAZ solche Informationen ungeprüft einfach so
dahintextet, ist unerträglich. Man muss sich nicht wundern, wenn einem hierzu
dann doch der Begriff „Lügenpresse“ einfällt, selbst wenn einem Pegida ferner
als irgend etwas sonst liegt.
Überhaupt
findet der Autor die fatalerweise treffenden Worte in Bezug auf die
Sanierungsgegner: „Verschworene“, „Drohung“, „Superwaffe“. Genau so empfinden
ganz viele Bürger, Theaterleute und Politiker die Art und Weise, wie hier beratungsresistent
mit bislang noch immer unklaren Argumenten gegen die Sanierung gearbeitet wird.
Da geht es nicht mehr um Manieren, sondern um verbale Abrüstung – auch beim
Faz-Autor!
Investition
Aber
nun endlich zum eigentlichen Thema, weil der Autor unfähig ist, wenigstens ein
bisschen Licht in die Grundfrage des Bürgerbegehrens zu bringen: Sie bedeutet
nämlich, dass bei einem NEIN die Stadt Augsburg sich nicht mit auch nur einem
Euro (1,- €) für die Sanierung des Theaters verschulden darf. Da im regulären
Haushalt keinerlei zusätzliche sondern nur Wartungs- und Instandhaltungs-Baumaßnahmen
enthalten sind, muss sich die Stadt Augsburg für JEDE Sanierungs-Baumaßnahme am
Theater verschulden. Die Konsequenz wäre, dass gar nicht gebaut bzw. saniert
würde, und die Stadt Augsburg nur noch kleinere Schauspiele sowie Konzerte
anbieten könnte, somit das Vier-Sparten-Theater tot wäre. Eine Provinzposse
erster Sahne. Da möchte man die deutsche Presse dann hören.
Gerade
weil aber so lange nichts gemacht wurde, und das Theater nun völlig
überraschend für alle schon Ende der Saison 2016 schießen muss, besteht
eklatante Sanierungsnotwendigkeit, und die Chance einmal in den Genuss einer
Finanzspritze zu kommen, somit eine nachhaltige Investition in die Zukunft.
Da
der Bayerische Staat der Stadt Augsburg 107 Mio € hierfür zur Verfügung stellt,
reduzieren sich die von der Stadt zu tragenden Kosten auf ca. 90 Mio €, woraus
sich für die steuerzahlende Augsburger Bevölkerung für bis ins Jahr 2036 eine
Belastung von jährlich 25 (fünfundzwanzig) € errechnet. Die in diesem
Zusammenhang erwähnte Verschuldung Augsburgs ist nicht außergewöhnlich. Die
wichtigsten Rankings zu den unter ca. 100 kreisfreien Städten verorten die
Stadt eher im unteren Mittelfeld.
„veraltetes“ Repertoire?
Die
negative Haltung des in Oxford studierten Autors Patrick Bahners in Sachen
Repertoire birgt Empörungspotenzial: Kann ein Repertoire „veraltet“ sein? Können
Mozart, Beethoven und Wagner auf den Müll? Sind Meisterwerke der Bildenden
Kunst, etwa von Rembrandt oder Picasso, von Semper oder Le Corbusier etc.
irgendwann veraltet? Ist es nicht vielmehr so, dass, je weiter die Geschichte
zurückliegt, der gesamtgesellschaftliche Wert der Kunst sogar steigt? Auch, was
„kulturelle Besitzstände“ sein sollen, erklärt der Autor nicht. Kann man Kultur
„besitzen“? Man kann eine Trompete besitzen und vielleicht auch darauf spielen,
man kann Bilder, Bücher, Skulpturen, Schlösser, alte Aufnahmen auf
Schallplatten besitzen, aber „Kultur “? Falls der Autor drauf hinaus will, dass
die pelztragenden Besitzständler gerne ihre Robe ausführen und in den Pausen
zum „weißem Rössl“ Sekt schlürfen, dann dürfte das eine aussterbende Minderheit
sein – jedenfalls was den Pelz betrifft, denn auch die im Theater stark
vertretene Jugend genießt von Zeit zu Zeit den Kontrast zum Diskothekengehopse,
und schlürft dann auch Prosecco.
Das
Theater Augsburg ist in allen inhaltlichen Themen engagiert. Es betreut
selbstverständlich dem Bildungsauftrag gerecht werdend, zum Einen das
klassische, aber zum Zweiten auch das avantgardistisch-moderne Repertoire, wie
an der herausragenden Inszenierung von Luigi Nonos „Intolleranza 1960“ zu
belegen ist. Und die dritte Linie ist die Präsentation aktuellster
Produktionen, teilweise auch mit externen Darstellern aus der Stadtgesellschaft.
Kultur als vierte Dimension
nachhaltigen Handelns
Angesichts
des Kulturverfalls (siehe AfD, Pegida, etc.) wäre die Unantastbarkeit der Kultur
wünschenswert. Jedenfalls ist es leider so, dass die sogenannten weichen
Faktoren Soziales, Umwelt, Bildung und Kultur um Finanzmittel kämpfen. Augsburg
hat sich in einer einjährigen Nachhaltigkeitsdebatte über seine Lokale Agenda
neben den Dimensionen Ökologie, Soziales und Ökonomie die vierte Dimension
Kultur verschrieben, weil nachhaltiges Denken, Leben und Handeln nur läuft,
wenn alle Aspekte des Menschen und seiner Umwelt Eingang finden. Das ist die
eigentlich relevante „Initiative kulturelle Stadtentwicklung“ (wie sich die
Bürgerbegehren-Initiatoren nennen) im Gegensatz zum destruktiven
Bürgerbegehrensinhalt, das gar nicht auf Kultur bzw. Kunst eingeht.
Augsburg
jedenfalls hat erkannt, dass das Weglassen einer Dimension auch die anderen
schwächt. Wird also an der Kultur gespart, ist das in Bildungskreisen gar nicht
vermittelbar, verroht der soziale Aspekt und wird in letzter Konsequenz der
Umweltschutz irrelevant, weil es keinen Grund gibt, die zusehends kulturlose
Menschheit zu erhalten. Soweit ist es in Augsburg noch lange nicht.
Partizipation
Nicht
erst mit der Bürgerbeteiligungswerkstatt konnte man sich zum Theater äußern,
sondern prinzipiell schon immer und tatsächlich gab es auch 2014 schon,
allerdings mäßig besuchte, runde Tische zur inhaltlichen Ausrichtung des
Theaters.
Der
Beteiligungsprozess war ein Erfolg, was das Interesse und die Breite der
Besucher anlangt. Die Kritiker waren ebenfalls zugegen, blieben aber stille
Beobachter, als ginge sie das Treiben nichts an.
Was
die Kritiker am Beteiligungsprozess gestört hat, war die Tatsache, dass die
notwendigen baulichen Maßnahmen, um hinterher wieder ein Vier-Sparten-Theater
zu haben, nicht verhandelbar waren. Es ist auch nicht einfach, einem breiten
Publikum zu vermitteln, wie beim Bauen im Bestand die Umsetzung von
Brandschutz, Barrierefreiheit, Hygiene, Denkmalschutz, Bühnentechnik, Akustik,
Versorgungstechnik, Arbeitsschutz, Raumbedarf, Beleuchtung, etc. funktioniert.
Die Komplexität einer Planungsaufgabe ist mittels Bürgerwerkstatt nicht zu
erfassen und nicht zu bearbeiten.
Unklare und unvereinbare Ideen
Keiner
der sechs Bürgerbegehrens-Initiatoren bringt schlagende Argumente. Herr I.
sagt, es ist zu teuer, kommt aber nur mit der Forderung, man müsse aus München
noch mehr Geld verlangen. Dabei kann man davon ausgehen, dass OB Dr. Gribl, als
Stellvertreter des CSU-Chefs Seehofer wahrscheinlich der Einzige auf lange Zeit
ist, der je überhaupt so viel Geld in die drittgrößte Stadt Bayerns abzweigen
konnte. „Theatermodern“ jedenfalls liegen Texte der Sanierungsgegner vor, aus
denen manche Information wie folgt hervorgeht: Herr Bommas spricht von einem
Theater, das ausschließlich aktuelle soziale Themen bearbeiten soll, also
Sozialintegration betreiben soll. Das ist aber nicht die vorderste Aufgabe des
Theaters. Hierzu gibt es zunächst Bildungsinstitute. Integration, wie sie
angesichts der Flüchtlingskrise notwendig wird, ist nicht allein und zuerst
Aufgabe der Kultur- bzw. Kunstinstitutionen. Sie stehen im Rahmen der Bildungsprogramme
aber bereit, wie auch Museen, Bibliotheken, Sportstätten.
Dr.
Gier schreibt über den En-Suite- oder Semi-Stagione-Betrieb, ein Theatermodell,
das den Vorstellungen der Integration von migrantischen Laiendarstellern a la
Bommas eklatant widerspricht, weil der Zugriff auf das Theater dann von
ökonomischen Zwängen abhängt.
Ja,
und was Frau Lippert eigentlich will, außer Andersdenkende mit
Köln-Sexismus-Vergleichen zu denunzieren, konnten wir bis heute nicht eruieren.
Ein Buch „über gute Manieren“ unter ihrem Kopfkissen könnte helfen.
Und
noch eine Empfehlung an den FAZ-Autor Patrick Bahners: Informieren Sie sich
zuerst bei allen Beteiligten, bevor sie einseitig Partei ergreifen, wie im
vorliegenden Fall. Das ist unterste Schublade von Journalismus.
Christian
Z. Müller, Augsburg, 21.05.2016